Gegensätze…

Ein junger Gelehrter im Zimmer drin,
– draußen scheint die Sonne –
er schreibt und schaut auf die Bücher hin,
– die Nachtigall schlägt voller Wonne. –
Er sagt: „Mein Wissen ist meine Welt!
Was nützt die Liebe, was nützt das Geld,
was nützt das Küssen und Kosen?“
– Und draußen blühen die Rosen!

Es schildert ein Dichter des Lebens Not,
– er sitzt auf gepolstertem Sessel –
er schreibt ein Stück: „Das tägliche Brot“,
er speist alle Tage bei Dressel. –
„Wer reich ist“, so schreibt er voller Wut,
„der teil’ mit der Armut sein Geld und Gut,
ja, helfen müßte so mancher!“
– Und trinkt dabei Champagner.

Es sitzt eine Mutter im Frauenverein,
– ihr Kind, das liegt zu Hause. –
Sie sagt: „Laßt vor allem uns Mutter sein!“
– Ihr Kind schreit ohne Pause. –
Sie sagt: „Wir helfen, wo’s nötig ist,
und wo eine Mutter ihr Kind vergißt,
da treten wir kühn in die Bresche!“
– Ihr Kind braucht reine Wäsche!

Es hat ein Professor ein Weib gefreit,
– sie schielt nach einem andern! –
Er hat zum Lieben nur wenig Zeit,
– man sieht zum zweiten sie wandern. –
Er sagt: „Meine Arbeit läßt mich nicht frei,
bin selten zu Haus – doch mein Weib ist treu
hält nimmermehr sich ’nen Geliebten!“
Da küßt sie grade den siebten!

Klein Elschen einst sechs Jahre war,
– fürcht’t sich vorm schwarzen Manne. –
Fein Elschen wurde dreizehn Jahr,
– fürcht’t sich vorm Weihnachtsmanne. –
Jetzt ist sie zwanzig – verkehrt sehr viel
mit jungen Herrn – und trotzdem will
sich ihre Furcht nicht vermindern,
– jetzt fürchtet sie sich vor Kindern!

Es sitzt ein Jüngling beim Mägdelein,
– sie wünscht: „Möcht’er mich küssen!“ –
Er will ihr was sagen, doch sie sagt: „Nein!“,
– und möchte’s doch gerne wissen! –
Jetzt küßt der Jüngling das Mägdelein.
Nun fängt sie mörderisch an zu schrei’n
und ruft: „Mama!“ ohne Pause.
– Und weiß, die ist nicht zu Hause!

Otto Reutter

Über Gabryon

Ich male mir mein Leben bunt. Wie der Wind… Vom Sternzeichen bin ich Wassermann und somit ein Luftzeichen. Ich bin praktisch und kreativ veranlagt und philosophiere gerne. Ich mag die Natur, Mensch und Tier. Meine Interessen sind sehr vielseitig und ich will es nicht darauf reduzieren, was ich besonders gerne mag. Das eine liegt mir an manchen Tagen mehr als das andere und ich habe es zumindest ausprobiert, um zu entscheiden, ob es für mich etwas ist oder nicht. Geht nicht, gibt es bei mir nicht. Es gibt immer Wege und Möglichkeiten, es zu tun oder zu lassen. Ich bin wie der Wind. Unterschätze nie die Kraft des Windes.
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2 Antworten zu Gegensätze…

  1. MARANXA schreibt:

    Wunderbar, auch so kann Liebe beginnen 🙂
    <3liche Grüsse, Xaver

    Gefällt 1 Person

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