Das sagt man so und denkt sich nichts dabei…

’s gibt Redensarten, oft ganz wundersame –
auch Phrasen drischt man, denkt sich nichts dabei.
„Ergeb’ner Diener,“ sagt man zu ’ner Dame
und wär‘ empört, hielt die uns für’n Lakai.
Geht man spazier’n, dann sagt man in der Regel:
„Mit Kind und Kegel wandern wir im Mai.“
Mann geht mit Kind, doch niemals mit ’nem Kegel –
das sagt man so und denkt sich nichts dabei.

Von „Bullenhitze“ spricht man – und fast keiner
hat schon ’nen Bullen sich erhitzen seh’n –
„Ich schwitz‘ wie ’n Affe,“ sagt so mancher einer
und hat noch nie ’nen Affen schwitzen seh’n.
’s ist „fabelhaft!“ Das Wort klingt miserabel,
wo’s gar nicht hin passt, sagt man’s stets aufs neu,
’s ist ekelhaft, dies ewige Gefabel – –
das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

„Nein, ist das komisch!“ hört man oftmals sagen.
Es stirbt zum Beispiel plötzlich irgendwer.
„Nein, das ist aber komisch – vor drei Tagen
sah’n wir ihn munter – und er lebt nicht mehr.“
Den Fall zergliedert man dann anatomisch.
„Nein, ist das komisch!“ heißt’s mit Wehgeschrei – –
wenn einer stirbt, das ist doch gar nicht komisch –
das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

Trifft ’nen bekannten Mann aus früh’ren Tagen,
„Wie geht’s?“ fragt man gedankenlos alsdann,
dann kann es vorkomm’n, der fängt an zu klagen,
erzählt genau wie’s geht – und pumpt uns an.
„Wie geht’s der Frau?“ heißt’s beim Vorüberwandern.
Man meint die erste – der hat Nr. drei,
die ersten zwei, die leb’n schon mit vier andern – –
das fragt man so, denkt sich nichts dabei.

Man nennt die Frau – und  wär‘ sie ’ne Xanthippe –
die „bess’re Hälfte“, weil man höflich ist.
Doch unsere Frauen stamm’n aus Adams Rippe –
der hat die Rippe nicht einmal vermisst.
Habt eure Frau lieb, gibt ihr ein Küsschen –
doch: „bess’re Hälfte?“ – Das ist Heuchelei,
denn eine Rippe – ist doch man so’n bisschen – –
das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

Es sagt ein Mann zur Frau: „Du musst dich sputen,
’ne Ewigkeit bin ich jetzt schon bereit,“
und dabei wart’t er höchstens 5 Minuten –
hat der ’ne Ahnung von der Ewigkeit!
Man liebt ’ne Maid, verlässt sie ohne Reue –
sagt auch der Zweiten: „Bin dir ewig treu,“
dann kommt ’ne neue – wieder ew’ge Treue – –
das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

Ein reicher Onkel liegt, wie’s scheint, im Sterben und
sein Neffe kommt, sieht sich im Zimmer um –
ist sehr gefasst – er weiß, er wird was erben –
der Onkel liegt im Bette blass und stumm.
Der Neffe denkt: „ ’s ist wohl die letzte Stund‘ heut“ –
dann niest der Onkel, niest sich frisch und frei –
der Neffe sagt mechanisch: „Zur Gesundheit!“
Das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

„Geld macht nicht glücklich“, sag’n die reichen Leute –
man müßte jedem sagen, der so spricht:
„Dann schmeiß doch deinen Krempel weg noch heute,
dann bist du glücklich.“ – doch das tut er nicht.
Die Herr’n vom Reichstag sagen vor den Wahlen:
„Erst kommt das Vaterland, dann die Partei –“
Und nachher sag’n sie in Partei-Lokalen:
„Das sagt man so und denkt sich nichts dabei.“

Man singt: „Den Saft der Reben will ich loben“
und bringt dabei ’ne Flasche Lagerbier.
Man sitzt fünf Treppen unterm Dache oben
und singt: „Im tiefen Keller sitz‘ ich hier.“
So mancher ist in Vegesack geboren,
blieb stets zu Haus, im ewigen Einerlei,
und hat sein Herz in Heidelberg verloren –
das singt man so, denkt sich nichts dabei.

Man preist den Rhein – nie wird man’s überdrüssig.
’s komm’n immer neue Lieder auf den Rhein –
auf andre Flüsse reimt sich nichts so flüssig,
auf Rhein gibt’s „fein“ und „Wein“ und „Mägdelein“.
Auf „Mulde“, „Panke“, „Unstrut“ fehl’n die Lieder,
auf Pleiße reimt sich auch nicht vielerlei –
wo man auch sitzt, der Rhein kehrt immer wieder –
das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

Man wählt im Wirtshaus von der Speiseliste
ein „Filet á la Nelson“ zum Souper –
ist Admiral der oder Komponiste?
Von welchen Nelson wünscht man das Filet?
Man nimmt auch mal, das Filet zu teuer,
ein Beefsteak a la Meier mit ’nem Ei –
und weiß nichts von dem Ei mitsamt dem Meier –
das frisst man so, denkt sich nichts dabei.

„Bin frisch, wie neu geboren“, sagt man häufig.
Wer neu geboren wird, der schreit und bebt.
„Der lebt wie Gott in Frankreich“ ist geläufig –
und keiner weiß, wie Gott in Frankreich lebt.
Wenn eine Maid mal an die Sechzig bald ist,
sagt man, daß sie ’ne alte Jungfer sei –
man weiß doch eigentlich nur, daß sie alt ist –
das sagt man so und denkt sich nichts dabei.

„Geburtstagsglückwunsch“, sowas find‘ ich schmerzlich!
’s hätt‘ Sinn, wenn man dann ein Jahr jünger wird.
Zu einer Hochzeit gratuliert man herzlich –
warum wird nicht zur Scheidung gratuliert?
Mit Eltern machen Kinder oft Theater –
zwar „Mutter“ sagt man überzeugungstreu,
den Mann der Mutter nennt man meistens „Vater“ –
das sagt man so, denkt sich nichts dabei.

Hat man mal Streit, will kein Vergleich gelingen,
sagt man dem Gegner schließlich voller Wut
’ne Einladung aus „Götz von Berlichingen“
und weiß genau, daß der das gar nicht tut.
Man will auch nicht, daß der sich’s überlege,
man bleibt nicht steh’n, damit ’s ihm möglich sei –
man fordert auf – dann geht man seiner Wege –
Das sagt man so und denkt sich nichts dabei.

Otto Reutter

Über Gabryon

Ich male mir mein Leben bunt. Wie der Wind… Vom Sternzeichen bin ich Wassermann und somit ein Luftzeichen. Ich bin praktisch und kreativ veranlagt und philosophiere gerne. Ich mag die Natur, Mensch und Tier. Meine Interessen sind sehr vielseitig und ich will es nicht darauf reduzieren, was ich besonders gerne mag. Das eine liegt mir an manchen Tagen mehr als das andere und ich habe es zumindest ausprobiert, um zu entscheiden, ob es für mich etwas ist oder nicht. Geht nicht, gibt es bei mir nicht. Es gibt immer Wege und Möglichkeiten, es zu tun oder zu lassen. Ich bin wie der Wind. Unterschätze nie die Kraft des Windes.
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